Ihre Entscheidung gegen den Solinger Weg
Sehr geehrter Herr Armin Laschet,
sehr geehrter Herr Karl-Josef Laumann,
sehr geehrte Frau Yvonne Gebauer,
am vergangenen Freitag verkündete unser Solinger Oberbürgermeister, Tim Kurzbach, dass die Stadt beschlossen habe, aufgrund der hohen Coronafallzahlen (Inzidenz von durchweg über 220, teils sogar mit der Gefahr auf eine Steigerung in Richtung 300) ab dem 4. November 2020 einen Solinger Sonderweg (Solinger Schulmodell) bei den Schulöffnungen zu gehen.
Das Ziel, welches hiermit verfolgt wurde, beschreibt die Stadt Solingen sehr eindrucksvoll auf Ihrem Internetauftritt:
Die Stadt, die dieses Modell in der vergangenen Woche mit den Schulleitungen entwickelt und abgestimmt hatte, versprach sich davon eine erhebliche Reduzierung des Infektionsrisikos. Hätte sich nur noch die Hälfte der rund 12.000 betroffenen Schülerinnen und Schüler morgens auf den Weg zur Schule machen müssen, hätte dies Schulwege und Kontakte erheblich reduziert, es wäre mehr Platz in den Schulbussen und in den Klassenräumen entstanden. Damit wären nicht nur Schülerinnen und Schüler, Lehrerinnen und Lehrer besser geschützt worden, auch die Familien.”
https://www.solingen.de/de/aktuelles/pressemitteilung-2020-629-pe/
Schulministerium NRW kippt Solinger Weg
Leider hat das Schulministerium den in Solingen beschlossenen und von der Bevölkerung breit unterstützen Weg kurz vor dem Inkrafttreten gekippt. Der Grund: Die Bildungsgerechttigkeit wäre bei einer Abkehr vom gleichzeitigen Präsenzunterricht nicht mehr gewährleistet.
Sehr geehrte Frau Gebauer,
das Argument der fehlenden Bildungsrechtigkeit traf vielleicht beim harten Lockdown und der damit verbunden Schulschließungen in diesem Frühjahr zu. Inzwischen sind aber durch die Versorgung von über 4.500 Leihtablets für Solinger Schülerinnen und Schüler, welche keinen eigenen Zugang zu einem Endgerät für das Lernen und den Unterricht auf Entfernung haben, Benachteiligungen ausgeglichen worden. Weiterhin haben die Schulen den digitalen Ausbau seit dem Frühjahr sehr stark vorangetrieben, so dass nun diverse Wege zur Übermittlung und Vermittlung eines Unterrichtsinhaltes zur Verfügung stehen.
Zugegeben, all dies ersetzt nicht den Präsenzunterricht in der Schule. Der Oberbürgermeister der Stadt Solingen drückt es sehr treffend aus:
Präsenzunterricht ist ja grade auch in unserem 50-Prozent-Modell für alle Solinger Schülerinnen und Schüler das Ziel gewesen, nur eben zeitversetzt und auf 50 Prozent reduziert – um Schulschließungen durch die Ausweitung der Quarantänefälle zu vermeiden…”
https://www.solingen.de/de/aktuelles/pressemitteilung-2020-629-pe/
Wenn nur noch die Hälfte einer Klasse zum gemeinsamen Präsenzunterricht zusammen kommt, wird hierdurch gleichzeitig das Risiko einer Ansteckung mit dem Coronavirus in dieser Zeit um die Hälfte reduziert. Gleichzeitig sind die oft in den Stoßzeiten vollen Busse weniger stark gefüllt und auch dadurch wird das Ansteckungsrisiko minimiert.
aktuelle Entwicklung
Die Stadt Solingen schreibt in ihrer Pressemitteilung vom gestrigen Tag:
Inzwischen sind 82 Klassen an 35 Schulen betroffen. 68 Schülerinnen und Schüler sowie 7 Lehrerinnen und Lehrer sind nachgewiesen infiziert. 205 Lehrerinnen und Lehrer sowie 1514 Schülerinnen und Schüler befinden sich deshalb derzeit in Quarantäne.”
https://www.solingen.de/de/aktuelles/pressemitteilung-2020-636-tk/
Durch eine Halbierung der Lerngruppen beim Präsenzunterricht, hätte Solingen zumindest die Chance, im Fall der Fälle die Anzahl der von einer Quarantäne betroffenen Schülerinnen und Schüler zukünftig grundsätzlich zu halbieren, wenn es einen Ansteckungsfall in einer Lerngruppe geben sollte. Die Anzahl der sich in einem Klassenraum befindlichen Aerosole wäre ebenfalls bei einer kleineren Lerngruppe deutlich geringer als bei voller Kurs- oder Klassenstärke.
Wie weit muss es noch kommen, bis im Landesministerium ein Umdenken stattfindet?
Sehr geehrter Herr Laumann,
wie vertreten Sie, dass in den Schulen sowie in den Schulbussen gleichzeitig so viele Schülerrinnen und Schüler zusammen kommen?
Solche großen Gruppen sind in der von Ihnen unterschriebenen Verordnung zum Schutz vor Neuinfizierungen mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 (Coronaschutzverordnung – CoronaSchVO) mit Ausnahmen versehen!
Grenzen solche Ausnahmen nicht schon an einer vorsätzlichen Gefährdung der Schülerinnen und Schüler? Um beispielsweise im Unterricht, die Anzahl der vorhandenen Aerosole möglichst gering zu halten, wird sehr viel gelüftet, idealerweise mit Stoßlüften.
Wie steht es mit der Gesundheit der Schülerinnen und Schüler in der kalten Jahreszeit, wenn die Räume ständig gelüftet werden?
Die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin konkretisiert in der Arbeitsstättenregel die Anforderungen an die Raumtemperatur dahingehend, dass die Mindesttemperatur in Arbeitsräumen bei leichter, sitzender Tätigkeit bei +20 Grad Celsius liegen muss. Ich persönlich finde, dass diese Regelung durchaus auf unsere Schülerinnen und Schüler übertragbar ist. Jedoch beträgt die Raumtemperatur in den Klassenräumen in dieser kalten Jahreszeit mitnichten 20 Grad Celsius, sondern eher 16 Grad Celsius. Die Schülerinnen und Schüler werden angehalten, sich nach dem Zwiebelsystem zu kleiden, um nicht zu frieren. In der Realität sitzen die Kinder teilweise mit Jacke und Handschuhen im Unterricht. Wenn also die Schülerinnen und Schüler nicht am Coronavirus erkranken, so besteht zumindest ein hohes Risiko auf eine Erkältung, wodurch die Schülerinnen und Schüler wiederum ausfallen und anfälliger für das Coronavirus wären.
Sehr geehrter Herr Laschet,
ich bitte Sie, die getroffenen Entscheidungen noch einmal mit Ihren Ministerien zu besprechen und hier im Sinnen der Schülerinnen und Schüler ein Entscheidung zu treffen.
Bauchschmerzen bereitet mir, dass große Unternehmen in dieser Pandemie teilweise Hilfen in Höhe von mehreren Milliarden Euro erhalten, aber kein Geld für die Ausstattung der Schulen (und auch Kindergärten) mit wirksamen Luftfilteranlagen zur Verfügung gestellt wird, welche die Anzahl der in der Luft befindlichen Aerosole deutlich reduzieren können. Auch wenn alle anderen Schutzmaßnahmen weiterhin bestehen bleiben müssen, so würde das zumindest der Raumtemperatur (nicht mehr so häufiges Lüften) und damit den Schülerinnen udn Schülern deutlich helfen.
Die Hauptübertragbarkeit des Coronavirus findet wohl über die Luft statt, aber nicht umsonst ist auch die Handhygiene wichtig, weil auch hier eine Übertragbarkeit stattfinden kann. Warum investiert das Land NRW nicht in eine flächendeckende Ausstattung (an Schulen und Kindergärten) mit Wasserhähnen, Seifenspendern und Türen, welche sich mittels Sensoren bedienen lassen? So würden viele Risiken der Übertragbarkeit des Virus weiterhin verhindert. Sicher, all dies würde Unsummen an Geldern kosten, aber es wäre eine Investition in die Zukunft unserer Kinder und unserer Gesellschaft. Ein weiterer positiver Nebeneffekt wäre die Sicherstellung und Schaffung von Arbeitsplätzen in einem sinnvollen Corona-Konjunkturprogramm.
Zur Zeit finden viele Aktionen gegen die Entscheidung der Landesregierung statt, sei es eine Strafanzeige gegen die zuständigen Minister oder die Onlinepetition von Simone Jacobs “Solinger Schulmodell zur Corona Eindämmung unterstützen!“. Bei der Onlinepetition sind inzwischen (Stand 7. November am Vormittag) fast 3.000 Unterschriften zusammen gekommen.
Nur wer seine Meinung äußert kann etwas bewegen. Und wir alle sollten im Interesse unserer Kinder, die Zukunft mitgehalten und nicht nur stumm zusehen, wie diese gestaltet wird.
Mutige Entscheidungen wie die der Schulleitung an der Alexander-Coppel-Schule (Teilung des Präsenzunterrichtes) sowie die unseres Bürgermeisters verdienen unseren Respekt und unsere Unterstützung.
Marcel Eller
(Vater von vier schulpflichtigen Kindern)